Virtual Innovation Day 2021

Der europäische Werkzeug-, Modell- und Formenbau im Wandel

Das hochkarätig besetzte Panel mit international agierenden Teilnehmenden hat den Wandel im europäischen Werkzeugbau aus unterschiedlichsten Perspektiven betrachtet. Die aktuellen Herausforderungen wurden beschrieben und ein Ausblick zu folgenden Themen gegeben:

  • Welche Auswirkungen haben die epochalen Veränderungen in der Automobilindustrie? 
  • Wo liegen die Märkte der Zukunft?
  • Wie sehen die künftigen Anforderungen der Kundschaft aus?
  • Wohin entwickeln sich die Geschäftsmodelle der Zukunft und welche Chancen bieten Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Werkzeug-, Modell- und Formenbau?

Langer Atem gefragt

Der europäische Werkzeug-, Modell- und Formenbau im Wandel

Veränderungsprozesse aufgrund der Digitalisierung, einem zunehmendem Fachkräftemangel und steigendem internationalen Wettbewerbsdruck betreffen jede Branche weltweit – den Werkzeug- und Formenbau jedoch in besonderer Weise. Mit dieser Situationsbeschreibung wollen es unsere Fachleute der Branche nicht belassen. Aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten sie den Wandel und bieten Lösungsansätze.

Es gibt kaum eine Produktion, die ohne Kostendruck arbeiten kann. Während in vielen Fällen schlicht Margen steigen sollen, ist der Preiskampf für manche Unternehmen überlebenswichtig. Im Werkzeug-, Modell- und Formenbau weht der Wind allerdings besonders scharf von vorn. Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Boos, der vor elf Jahren die WBA Aachener Werkzeugbau Akademie GmbH gegründet hat, bringt es auf den Punkt: „Wir kämpfen mit einem selbstgemachten Problem: Werkzeugbauende akzeptieren teilweise Preise unter den Herstellungskosten. Das kann nicht lange gut gehen!“ Er schätzt, dass rund 30 % der Werkzeugmachenden die jetzige Situation nicht überleben werden. Dabei sieht er als Experte für die gesamte Prozesskette des industriellen Werkzeugbaus auch Potenzial, in Zukunft erfolgreich im Wettbewerb zu bestehen: „Ein Betrieb kann durchaus technologisch gut aufgestellt sein, aber finanztechnisch und organisatorisch sind es leider zu viele nicht.“ Dennoch glaubt er an den europäischen Werkzeugbau: „Eine Lösung ist aus meiner Sicht, Werkzeug und Anlage zusammen mit der Materialkomponente als Einheit zu betrachten. Wir müssen uns künftig als Produktionsbefähigende betätigen.“ Das wäre laut Boos ein guter Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Zukunft.

Preisdruck muss kompensiert werden

Jens Lüdtke ist spezialisiert auf strategische Ausrichtung, Mitarbeitendenführung und -motivation sowie Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung speziell im Werkzeug- und Formenbau. Die industrielle Einzelteilfertigung im Zeitalter der Digitalisierung ist sein Kernthema. Auch er sieht die Branche an einem Wendepunkt: „Vor zwanzig Jahren haben wir 50 % mehr Geld für unsere Produkte erlöst. Wir müssen es schaffen, diesen Preisdruck zu kompensieren!“ Neue Geschäftsmodelle, Kooperationen und einen Fokus auf die Bindung der Kundschaft lauten aus seiner Sicht die Schlagworte, um als Unternehmende richtig zu reagieren.

Mehrwert von Leistungen erkennbar machen

Der Kostendruck, dem sich viele Betriebe ausgesetzt sehen, ist kein nationales Problem. Ähnliche Sorgen sind aus verschiedenen Märkten zu vernehmen. Dr. Beatrice Just, Vize-Chefin des italienischen Maschinenbauers Millutensil bricht zwar eine Lanze für den europäischen Werkzeugbau, „der immer noch für Qualität und Innovation steht“. Sie sieht allerdings einen Anstieg beider Kompetenzen auch beim internationalen Wettbewerb. „Wir haben in der Vergangenheit Knowhow exportiert. Diesen Wissenstransfer haben wir nicht gut gemanagt. Doch jetzt ist es an der Zeit, dass wir den Mehrwert unserer Leistungen erkennbar machen. Es ist an der Zeit, dass wir Prozesse optimieren und automatisieren und uns auch in Richtung Dienstleistung und Service weiterentwickeln“ zeigt sie den Weg auf, den speziell herstellende Unternehmen aus Europa im Hinblick auf den asiatischen Wettbewerb nehmen sollten.

Raus aus den Silos!

Dass sich die Branche in Europa nicht mehr in der Pole-Position befindet, bestätigt auch Daniel Hummel von der Robert Bosch GmbH. Aus seiner Sicht jedoch kein Grund für Schwarzmalerei: „Ein Rennen wird nicht am Start entschieden und schon gar nicht alleine. Wir müssen raus aus den Silos und von unserer sehr guten Basis aus, das richtige Knowhow vermitteln. Wenn wir die Bedeutung des Total Cost of Ownership verdeutlichen, an der das eigentliche Werkzeug nur einen kleinen Anteil hat, ist schon viel gewonnen.“ Damit weitet er den Blick auf die Produktionsperipherie und nimmt beispielsweise Maschinenherstellende und Automatisierende oder auch das Servicepersonal mit in die Betrachtung auf, wie Herstellende aus Europa künftig im internationalen Wettbewerb besser bestehen können. Auch Dr. Louis Schneider, Inhaber der Schneider Form GmbH, hat klare Vorstellungen davon, was zu tun ist: „Wir müssen Nischen besetzen, die langfristig wachsen und die von anderen nicht so schnell besetzt werden können. Um diese zu finden, müssen wir unserer Kundschaft zuhören: Im gleichen Maß, wie diese weniger Fachkräfte haben, werden wir mehr Verantwortung übernehmen müssen.“

An den Nachwuchs denken

Damit spricht er ein wachsendes Problem an, das von vielen Betrieben nach wie vor unterschätzt wird: den Fachkräftemangel. Nur mit entsprechend gut ausgebildeten Mitarbeitenden dürfte es Unternehmen in Zukunft gelingen, nicht nur ihre Kerntätigkeit auf höchstem Niveau zu erbringen – also Werkzeuge zu produzieren, die höchsten Ansprüchen der unterschiedlichen Anwendendenbranchen genügen. Fachkräfte von morgen müssen in der Lage sein, ihr Kernprodukt als Teil eines Produktionsprozesses zu verstehen und interdisziplinär Optimierungen im Fertigungsprozess zu erzielen. Bernd Ströhlein, Bereichsleiter der Fischer Werkzeug- und Formenbau GmbH bestätigt die Bedeutung der Nachwuchsförderung, sieht aber durchaus positive Zukunftsaussichten: „Wir sind es gewohnt, Probleme zu lösen. Meine Zuversicht ist, dass wir junge Menschen für den Beruf begeistern, denn nur der Nachwuchs sorgt dafür, dass wir mit frischem Denken in eine erfolgreiche Zukunft gehen.

Referierende

Moderation: Ralf Dürrwächter, VDWF, und Markus Heseding, VDMA

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