Virtual Innovation Day 2021

Innovative Fertigungsstrategien im Werkzeug-, Modell- und Formenbau

In 5-minütigen Impulsvorträgen wurden 1A-Informationen für die Fertigung - von der Maschine über die Werkzeugaufspannung und Bearbeitungswerkzeuge hin zu Fertigungsstrategien für die Zukunft vorgestellt. Kurz – kompakt – auf den Punkt gebracht!

Robuste Marktteilnehmer

Dass der deutsche Maschinen- und Werkzeugbau wirtschaftlich unter Druck steht, lässt sich gut an einigen Zahlen ablesen: So ist die Umsatzrendite im Werkzeugbau zwischen 2016 und 2019 um 47 % gesunken. Die Produktionsauslastung im Maschinenbau sank im Jahr 2020 um 17 % und drei Viertel aller Betriebe planen die Belegschaft um 5 bis 15 % zu verkleinern.

Diese Zahlen kennt Dr.-Ing. Kristian Arntz. Er ist bei der Aachener Werkzeugbau Akademie verantwortlich für Forschungsthemen rund um die technologischen Fragestellungen und stellt die Frage, wie sich die Fertigung im Werkzeugbau weiter entwickeln kann: „Was kommt nach der Automatisierung? Der Trend sei recht eindeutig und zwinge den Werkzeugbau, sich anzupassen. Gute Produkte als Differenzierungsmerkmal reichen nicht mehr. Um wieder in ruhigeres Fahrwasser zu gelangen und robuste Marktteilnehmer zu werden, müssten Betriebe neue Technologien aus dem Bereich der Digitalisierung adaptieren: „Wir sehen, dass die Datennutzung zwar heute schon eine Rolle spielt, das Nutzen und Interpretieren von Daten muss aber zukünftig noch deutlich stärker genutzt werden“, sagt Arntz.

Ein Beispiel betreffe das Thema Resilienz: Wie werden Unternehmen stabiler in den Prozessketten? Bei der Antwort spiele eine zentrale Rolle, sich nicht mehr in einem Umfeld hochvariabler Produkte, Anlagen und Anforderungen zu bewegen. „Wir brauchen eine Adaptivität, bei der wir im besten Fall während sich das Bauteil noch in der Produktion befindet, Anpassungen z.B. bei den gewählten Maschinen oder Bearbeitungsschritten vornehmen“, schlägt er vor. Wir haben dazu jedoch zu wenig Daten, zu wenig Informationen und damit zu wenig Prognosefähigkeit um im Vorhinein zu wissen, wie lange bestimmte Arbeitsschritte dauern werden. Hier liege eine wichtige Aufgabe der Weiterentwicklung. 


Robuste Unternehmen

Sebastian Guggenmos von Kern Microtechnik GmbH stellt die Frage „Wie robust sind unsere Unternehmen?“ und liefert Ansatzpunkte für eine zukünftig höhere Resilienz mittels Differenzierung am Markt. Ein smartes Machining soll zu variantenreichen und robusten Prozessen und vor allem zu einem differenzierten Produktangebot führen. Wichtig ist seiner Meinung nach nicht nur auf die Maschine zu schauen, sondern möglichst alle Einflussfaktoren zu betrachten. Das seien neben den Materialien mit ihren verschiedenen Eigenschaften, unterschiedlichen Kühl-/Schmierstoffen auch das jeweilige Werkzeug mit seiner Halterung. Zudem liegen weitere Faktoren der Variabilität im Design- und CAM-Bereich sowie an der Individualität der Bediener selbst.

Guggenmos hat sich jedoch einen gemeinsamen Nenner der Variabilität herausgepickt: Die Temperatur. Diese zentrale Eigenschaft beeinflusst alle Faktoren und ist in der automatisierten, produktiven Hochpräzisionsbearbeitung für 70 % der Ungenauigkeiten in der Fertigung verantwortlich. Hier setze auch die Philosophie seines Unternehmens an, konstante Qualität zu erzeugen. „Die Maschine lernt ein Verhalten, das später automatisiert zur Korrektur der Bearbeitungsvorgänge während des Prozesses zurückgespiegelt werden kann“, sagt Guggenmos.

„Bereits heute können wir gut kontrollieren was in unserer Maschine passiert und auf Veränderung automatisiert reagieren. In Zukunft geht es darum, auch die umgebenden Faktoren in diese Intelligenz mit einzubeziehen. Unser Ziel lautet jedoch, die selbstlernende Maschine zu konzipieren. Dann werden wir einen Zustand bekommen, in dem die alte Maschine mehr „weiß und kann“ als die neue“, fügt er schmunzelnd hinzu.


Robuste Werkzeuge

In vielen industriellen Anwendungen sind verschleißfeste Stähle gefragt, um die Standzeit der Anlagenteile und Werkzeuge zu maximieren. Doch solche Stähle machen mit ihrer Kombination aus Härte und Zähigkeit auch den Werkzeugen, die sie in Form bringen sollen, zu schaffen.

Andreas Jenter von der Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn kennt das Problem und präsentiert einen neuen Fräser speziell für den anspruchsvollen Werkzeug- und Formenbau. Im Leistungsversuch wurde im Technikum eine Kavität mit dem neuen HPC-Fräser bearbeitet. „Wir können aufgrund der neuen Geometrie unseres Werkzeugs aggressiv in das Werkstück eintauchen; bis zu 10° sind möglich. Das spart viel Zeit bei der Bearbeitung“, erklärt Jenter.

Auch das Verhältnis zwischen Kern- und Außendurchmesser bei der Spanabhebung sei stabil. Das bedeutet, dass das Werkzeug einen sehr stabilen Kern besitzt und so großen radialen Drücken ausgesetzt werden kann. Die Kombination aus Spanraum und Spanausläufen führt auch bei tieferen Eintrittswinkeln die Späne kontinuierlich und geordnet ab.

Die neuen Fräser werden ab Juli 2021 als Standardlagerware verfügbar sein und wer sich unsicher ist, kann „auch gerne mit uns Fräsversuche durchführen und dabei sogar neue Bearbeitungsstrategien mit uns erarbeiten“, lautet die Einladung von Jenter.


Robuste Fertigungsstrategie

Graphit-Werkstoffe stellen viele Anwender vor Herausforderungen. Ob Maßhaltigkeit, Formengenauigkeit oder Oberflächenqualität – es gibt einfacher zu bearbeitende Werkstoffe. Da sie aber fester Bestandteil im Werkzeug- und Formenbau sind, gilt es, die richtigen Strategien für diese Werkstoffgruppe zu entwickeln.

Anwendungstechniker Andreas Weck und seine Kollegen von der Zecha Hartmetall-Werkzeugfabrikation haben sich zum Ziel gesetzt, eine reproduzierbare und hoch genaue Zerspanung zu realisieren. Die neue Werkzeug-Serie fokussiert auf die Bearbeitung feinkörniger Graphitsorten, die extrem harte und verschleißintensive Bearbeitung zur Folge hat. Bauteil-Kavitäten wurden mit der Zeit immer tiefer und die Werkzeuge dementsprechend immer länger. Die produzierten Elektroden sollten zudem immer dünnwandiger und filigraner werden, beschreibt Weck die Herausforderungen.

Das Zecha-Team hat als Antwort darauf den Torus-Graphit-Fräser mit einer Schneidenlänge von 1 x d ergänzt um eine kurze Schlichtschneide der Länge 0,5 x d, sodass eine neue Werkzeug-Serie mit kurzer Schlicht- und langer Schruppschneide entstanden ist. Damit bearbeitet entstehen eine hohe Oberflächengüte, eine gute Maß- und Formhaltigkeit durch vibrationsarmen Schnitt und ein genauer Rundlauf. Die geringen Zerspanungskräfte vermindern zudem Deflektion und die gezielte Homogenisierung der Schneidkanten verbessert die Schichthaftung an der Schneidzone, so Weck. „Diese Vorteile zusammen bringen eine robuste Fertigungsstrategie mit hohen Standzeiten und einer hohen Prozesssicherheit bei der Bearbeitung von Feinkorngraphit“, ist Weck überzeugt.


Robuste Radien

Zum Thema der innovativen Fertigungsstrategien konzertiert sich der Leiter der OSG-Academy, Magnus Hoyer, auf die Schruppbearbeitung und die Zeiteinsparung hierbei. Der Hebel dazu liegt für ihn nicht in der Schlichtbearbeitung, sondern in der Vorbearbeitung. Um zu zeigen, wie es schneller werden kann, stellt er zwei Werkzeugkonzepte gegenüber.

Viele Anwender nutzen seiner Erfahrung nach einen Weitwinkelfräser oder einen Torusfräser. Klarer Vorteil des Weitwinkelfräsens sei, dass durch das etwa 10°-Stirnschneiden nicht so tief ins Material eingetaucht wird und, solange die Höhe der Schräge nicht überschritten wird, immer die gleiche Richtung der Reaktionskraft zur Spindelmitte bzw. axial anliegt. Nachteil eines Torusfräsers: Je tiefer er eintaucht, desto größere Radialkräfte entstehen und der erzeugte Span sei nicht optimal. Zudem sei der Vorschub eingeschränkt.

„Der neue WXS-CRE Torusfräser gleicht diese Nachteile aus. Er hat nicht nur einen theoretischen Radius, sondern eine genau definierte Eckengeometrie. Wie viel Restmaterial nach der Bearbeitung stehen bleibt, ist von vornherein klar“, sagt Hoyer. Die ballige Schneide sei sehr robust, erzeuge einen weichen Schnitt, und könne mit hohen Vorschüben gefahren werden, ergänzt er. „Wir erreichen Radiustoleranzen von +/- 5 Mikrometern und erhalten so die Möglichkeit, bereits in der Vorbearbeitung im Schruppen sehr exakt an der Kontur zu arbeiten. Hier müssen wir zwar etwas mehr Zeit veranschlagen, sparen jedoch in der Gesamtbearbeitungszeit deutlich Zeit ein, da ein Zwischenschritt komplett entfällt“, sagt Hoyer.


Robuste Spanntechnik

Manuel Nau vom Spanntechnik-Hersteller Andreas Maier GmbH & Co. KG hat sich zum Ziel gesetzt mit der AMF-Nullpunktspanntechnik der Produktivität in den Betrieben einen Schub zu versetzen. Das Schlagwort lautet Standardisierung. In diesem Fall allerdings nicht vom eigentlichen Zerspanungsvorgang, sondern von der Peripherie. Dazu stellt er konkret ein spezielles AMF-Spannsystem vor. Das Nullpunktspannsystem wird typischer Weise zum Vorrichtungswechsel bei der Serien- und Einzelteilbearbeitung eingesetzt, aber auch zum Schraubstock- und Backenfutterwechsel.

Am Beispiel der Werkstückdirektspannung, zeigt er auf, wie sich Maschinenlaufzeiten verbessern lassen. „Die Werkstückdirekteinspannung lässt sich am besten umsetzen mit einem modularen Nullpunktspannsystem“, ist er überzeugt.  Bei dem Baukastensystem befinden sich mehrere Spannbolzen direkt im Werkstück, die dann im Nullpunktspannsystem arretiert werden. Werkstückgröße und -geometrie sind flexibel und auch das Stichmaß ist frei wählbar.

Passendes Beispiel sind für Nau Anwendungen aus dem Werkzeug- und Formenbau, denn hier werden häufig sehr komplexe Werkstücke bearbeitet, die meist in sehr individuellen Vorrichtungen gespannt sind. Die Werkstückdirektspannung ist ein Weg, Prozesse im Betrieb zu standardisieren. So wird auf unterschiedlichen Maschinen und bei wechselnden Bearbeitern immer dasselbe System genutzt. „Damit steigt nicht nur die Reproduzierbarkeit, sondern auch die Maschinenlaufzeit deutlich – im Falle eines Kunden mit 22 Maschinen betrug die Steigerung satte 75 %“, sagt Nau.


Robuste Strategie

Die Automatisierung und Digitalisierung gewinnen auch in der Traditionsbranche des Werkzeug- und Formenbau zunehmend an Bedeutung und erschließen für Unternehmen jeder Größe vielfältige Optionen zur ganzheitlichen Verbesserung ihrer Produktivität.

Markus Piber, Bereichsvorstand Vertrieb, Service & Technologie Exzellenz bei DMG Mori, rät den Unternehmen, Schritt für Schritt die Mehrwerte der eigenen Transformation zu erschließen. Insbesondere großes Potenzial sieht er in der Planung. „Wir sehen bei vielen Kunden noch Laufzettel oder Stellwände mit Planungsständen und erleben im Betriebsalltag immer wieder notwendige Verschiebungen der bisherigen Planung“, sagt Markus Piber. Um den gesamten Planungsfluss zu 100 % abzudecken und auch bei kurzfristigen Beschaffungsszenarien schnell reagieren zu können, bieten sich digitale Planungstools an. Ohne lokale Installationen oder IT-Infrastruktur können die Kapazitäten von Werkzeugmaschinen, Messeinrichtungen oder Spritzgussmaschinen beispielsweise mit cloudbasierten ISTOS-Lösungen digital geplant und gesteuert werden. Vorlaufzeiten, Kapazitäten und Auslastungen werden so transparent – vom Auftrag bis zur Auslieferung. Digital optimiert lassen sich so Planungszeiten um bis zu 80 % reduzieren und die Auslastung um bis zu 25 % verbessern.

Mit Blick auf die Fertigungsstrategie spricht Piber von den faszinierenden Möglichkeiten des digitalen Zwillings. „Mit dem digitalen Abbild unserer Werkzeugmaschinen optimieren Kunden einfach ihre Produktion. Die Zeit bis zum Produktionsstart wird um bis zu 40% reduziert, die Kosten um bis zu 30 % gesenkt und eine 100 % kollisionsfreie Bearbeitung sichergestellt“, erklärt Piber – Effekte einer möglichen Automatisierung nicht eingerechnet. Allein für den Werkzeug- und Formenbau bietet DMG MORI ein Portfolio von mehr als 30 Maschinen- und mehr als 20 Automationslösungen. „Schließlich ist nichts effizienter und nachhaltiger als eine Maschine, die 24/7 im Einsatz ist,“ betont Markus Piber.

Und sollte doch einmal ein Problem auftreten und die Maschine sogar zum Stillstand bringen, hat das Unternehmen auch dafür das richtige Service-Tool im digitalen Werkzeugkasten: "Unsere Experten haben die Möglichkeit, sich über die Servicecamera und eine hochsichere Remote-Verbindung zum Kunden zu schalten, um den Fehler im Dialog mit dem Bediener oder sogar via Multichat-Funktion mit weiteren Kollegen zu beseitigen“, beschreibt Piber. Zudem hat DMG MORI seinen digitalen Service ausgebaut: Über das Kundenportal werden Serviceprozesse kontinuierlich optimiert und schneller und transparenter abgewickelt – vom ersten Kontakt bis zum Tracking einer Ersatzteillieferung.

Referierende

  • Sebastian Guggenmos, Kern Microtechnik GmbH
    >> Kern Smart Machining – variantenreiche und robuste Prozesse
  • Andreas Jenter, Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn GmbH 
    >> HPC Fräsen – HORN Performance Cutting 
  • Andreas Weck, ZECHA Hartmetall-Werkzeugfabrikation GmbH 
    >> Innovation in der Bearbeitung von Graphitwerkstoffen 
  • Magnus Hoyer, OSG GmbH
    >> AE-H - Fräser Serie für hochfeste, gehärtete Werkstoffe 
  • Manuel Nau, ANDREAS MAIER GmbH & Co. KG
    >> Geben Sie mit der AMF-Nullpunktspanntechnik Ihrer Produktivität einen Schub 
  • Markus Piber, DMG MORI
    >> Wir stärken Sie mit ganzheitlichen Fertigungsstrategien von DMG MORI
  • Dr.-Ing. Kristian Arntz, WBA Aachener Werkzeugbau Akademie GmbH 
    >> Fertigung im Werkzeugbau - was kommt nach der Automatisierung? 

Moderation: Markus Heseding, VDMA, und Dr.-Ing. Christoph Kelzenberg, WBA Aachener Werkzeugbau Akademie GmbH