Virtual Innovation Day 2021

Road of Tooling Innovation

Die Podiumsdiskussion brachte das Highlight der vergangenen Moulding Expo in den digitalen Raum. Namhafte InnovationstreiberInnen der Branche stellten die zukunftsweisenden Werkzeug- und Produktionskonzepte vor, die im Rahmen der abgesagten Moulding Expo 2021 live präsentiert worden wären: vom 3-fach Familienwerkzeug, über das Thema Folienhinterspritzen, bis hin zu Bauteilen aus geschäumtem Rezyklat, Sensortechnik für Mould Monitoring oder Innovationen im Bereich der Partikelschaumverarbeitung mit 3D-gedruckten Werkzeugen.

Innovationen aus dem Kunststofftechnikum

Die Road of Tooling Innovation zeigt Werkzeug- und Produktionskonzepte der Zukunft

Fortschritt lebt von der Zusammenarbeit und dem Miteinander. Gerade in einer Branche, die sich im harten internationalen Wettbewerb beweisen muss, ist es wichtig, über den Tellerrand der eigenen Entwicklungsabteilung hinaus zu schauen und einen Nutzen für die Anwendenden zu erarbeiten. Das geschieht, indem mehrere Schritte der Prozesskette ganzheitlich betrachtet werden – und immer häufiger in erfolgreichen Partnerschaften. Die Road of Tooling Innovation spiegelt genau das wieder: Hier präsentieren sich ausgewählte internationale Werkzeugbau-Champions gemeinsam mit namenhaften Herstellern von Spritzgussmaschinen. Die Sonderschau sollte ursprünglich das Highlight der Moulding Expo 2021 werden und State-of-the-Art-Produktions-Konzepte in Aktion zeigen. Aufgrund der Corona-Pandemie kann das Ausstellungskonzept zwar erst 2023 umgesetzt werden, die einzelnen Projekte werden in der Zwischenzeit bereits vorgestellt.

1. Vom sequentiellen zum zentralisierten Workflow

Bereits vor dem Beginn einer Produktion wissen, was hinterher herauskommt – Simulationen sagen immer präziser und für immer mehr Verfahren voraus, wie Prozesse verlaufen werden. Das gilt auch für Schmelzprozesse im Spritzguss. Drei Unternehmen warfen im Rahmen eines Simulationsprozesses ihre jeweilige Kompetenz in den Ring, um mit Vorhersagen zum Ablauf eines Spritzgießvorgangs möglichst nah an die spätere Realität zu gelangen und so die Prozesse optimal einstellen zu können.

Ein komplexes 3fach-Familienwerkzeug, spezifische Materialkennwerte, Maschinen-Daten und Simulations-Knowhow lauteten die Zutaten zu denen jeder seine individuellen Stärken zusteuerte: Borealis stellte das Test-Material mit physikalischen, chemischen und thermodynamischen Eigenschaften und Oerlikon HRSflow das Werkzeug mit einem Heißkanalsystem sowie der Simulationssoftware zur Verfügung. Maschinenhersteller Engel brachte eine hydraulische Spritzeinheit mit Temperaturkontrolle und entsprechenden Informationen für die Simulation ins Projekt mit ein. Als anspruchsvolles Testprodukt diente in diesem Fall ein Lautsprechergitter mit feinsten Strukturen. „Die gute Nachricht lautet, wir haben auf den Millimeter genau die Simulation getroffen! Ein Vergleich nach der Vermessung des Bauteils ergab nur 0,04 % Abweichung zur vorhergesagten Geometrie“, freut sich Stephan Berz, Oerlikon HRSflow.

Wichtigstes Learning

  • Wenn alle Projektbeteiligten auf der gleichen Plattform arbeiten, können Optimierungsschleifen deutlich reduziert werden. Ergebnisse landen viel schneller auf dem Punkt, Kosten können eingespart und die Time-to-Market verkürzt werden, wenn alle Partner von Anfang an ihr Knowhow beisteuern.

2. Teamwork bei Foliendekoration

Im Bereich der Foliendekoration sind derzeit drei große Trends festzustellen: Dekorierte Oberflächen werden immer häufiger nachgefragt. So sollen die veredelten Bauteile sollen immer häufiger zusätzliche technische Features erhalten. Als dritter Aspekt bleibt der Kostendruck auf einem hohen Niveau. Um auf diese Trends eine Antwort zu finden, haben sich die Unternehmen Georg Kaufmann Formenbau AG, HRS Flow, Leonhard Kurz, Poly IC und Wittmann Battenfeld zusammengetan und ein Projekt gestartet: Sie bauten einen Prozess auf, der die dekorative Folie im Spritzgießwerkzeug umformt, tiefzieht und damit den vorgelagerten Umform- und Beschnittprozess komplett eliminiert. Dies wird im Werkzeug kombiniert mit einer Inmould-Wrapping-Technologie bei der auch die Stirnkanten im hinterschnittigen Bereich komplett mitdekoriert und beschnitten werden.

Intelligenz bekommen solche Bauteile, indem dreidimensional verformte Sensoren in das Werkzeug eingelegt werden. „So entstehen hinterspritzte Bauteile, die auf der Vorderseite komplett dekoriert sind und auf der Rückseite einen Sensor tragen. Eine Kombination, die wir in 60 Sekunden Zykluszeit herstellen können“, erklärt Christian Götze von der Georg Kaufmann Formenbau AG

Wichtigstes Learning

  • Für smarte Kunststoff-Anwendungen in der Automobilindustrie oder Elektronik können Bauteile in einem Verfahrensschritt dekoriert, thermogeformt, hinterspritzt und gestanzt werden sowie mit Sensoren ausgestattet werden.

3. Glänzende Oberfläche für nachhaltige Bauteile aus Rezyklat

„Das Thema Nachhaltigkeit wird uns für die nächsten 50 Jahre begleiten. Einen wertvollen Beitrag kann heute schon ein Prozess leisten, der etwas in Vergessenheit geraten ist: das Spritzschäumen“, leitet Anna Tschacha, geschäftsführende Gesellschafterin Deckerform, die Vorstellung eines Gemeinschaftsprojekts vor. Dieses hat zum Ziel, nachwachsende Rohstoffe zu nutzen oder Rezyklate wieder zu verwerten, ohne die Nachteile bei Oberflächenqualität in Kauf nehmen zu müssen.

Die Kombination aus solchen nachhaltigen Materialien mit dem Verfahren des Spritzschäumens ist reizvoll. Der Vorteil der durchgeschäumten Bauteile entsteht zunächst einmal aufgrund der Material- und Gewichteinsparung. Hinzu kommen ein hoher Isolationswert, eine Reduzierung der Zykluszeit und maßhaltige Teile, betont die Unternehmerin.

Allerdings bildete bislang die Oberflächengestaltung von Rezyklaten, die sehr vielen Anwendungsfällen nicht genügt, ein großes Hindernis für den Einsatz der Technologie. Im Team mit Johannes Romming von der Leonhard Kurz Stiftung und dem Einsatz einer Heißprägedekoration konnte hier eine Lösung präsentiert werden. Das gemeinsame Projekt habe gezeigt, dass veredelte Oberflächen, modernes Design, Beständigkeit und das Nutzen nachhaltiger Materialien gut zu kombinieren sind. „Gerade Rezyklate mit schwieriger Oberflächenbeschaffenheit können wir mit unseren Dekorationslösungen optisch aufwerten und den Anschein von Neumaterial verleihen“ ist Romming überzeugt.

Wichtigstes Learning

  • Die Kombination aus Recycling-Kunststoffen und Oberflächenveredelung mittels Dekorationsverfahren ist ein gelungenes Beispiel für einen einen geschlossenen Kreislauf im Kunststoffrecycling.

4. 3D-Druck reduziert Energieeinsatz

Nachhaltigkeit im Spritzguss und der Partikelschaumverarbeitung lautet die Mission von Stefan Hofmann, Geschäftsführer der Siegfried Hofmann GmbH. Um nachhaltiger zu produzieren, beschäftigt sich sein Unternehmen seit vielen Jahren mit dem 3D-Druck im Werkzeugbau. Die Idee hier ist nicht, das Endprodukt additiv zu fertigen, sondern Werkzeuge herzustellen, die mit zerspanenden Prozessen nicht möglich wären. Beispiel für eine solche konstruktive Maßnahme ist die freie Wahl der Kühlkanal-Geometrie. Sie verhindert Hot-Spots und unterstützt den gezielten Abkühlvorgang.

In der Kombination mit dem ebenfalls vorgestellten Formteilautomat produziert Hofmann Partikelschaum-Bauteile, die in Qualität, Maßhaltigkeit und Reproduzierbarkeit Spritzgießqualität erreichen, betont Hofmann.

Wichtigstes Learning

  • Die vorgestellte Maschine reduziert im Zusammenspiel mit den 3D gedruckten Werkzeugen die Zykluszeit um bis zu 50 % und spart im Vergleich zu den vor dem drei Jahre dauernden Projekt genutzten Prozessen bis zu 75 % Wasserdampf- und Energieverbrauch ein.

5. Design, Funktionalität und Nachhaltigkeit

Alltägliche Gegenstände effizienter und nachhaltiger produzieren – diesen Ansatz wählten die Projektpartner Haidlmair, Digital Moulds und Engel. Anhand der Produktion eines Getränketrägers für sechs Flaschen haben sie einen Produktionsprozess aufgebaut, der auf die Wiederverwertung von Recyclingmaterial fokussiert.

Eine spezielle Schwertverschlussdüse, austauschbare Konturen und der Einsatz von Lasern zur Herstellung bestimmter Texturen lauten einige der speziellen Features im Projekt. Als technisches Highlight überwachen mehrere Sensoren im Werkzeug den Prozess und ermöglichen die Steuerung und den präventiven Eingriff während des Spitzgussvorgangs.

Die gesammelten Echtzeitdaten helfen darüber hinaus, neue Prozesse im Vorfeld simulieren zu können und den Prozess rund um die Spritzgussmaschine mit, in diesem Fall, 250-Tonnen-Schließkraft effizienter zu gestalten.

Wichtigstes Learning

  • Die verwendeten Komponenten in Kombination mit der Echtzeitüberwachung durch Sensorik verkürzten die Zykluszeit und verringerten den notwendigen Injektionsdruck. Das spart Zeit und Energie.

6. Würden Sie gerne Maschinen und Produktionsfläche einsparen?

„Unsere Branche braucht Mut zur Innovation und mehr noch: Mut zum kontrollierten Risiko!“ Mit diesem Aufruf beginnt Timo Steinebrunner von der Braunform GmbH seine Vorstellung eines Innovationsprojektes. Das Team des Präzision-Formenbauers hat sich die Herstellung einer 2K-Anwendung mit Druckmembrane zur Optimierung eines Herstellungsprozesses ausgesucht. Um eine Verdeckelung in nur einem Arbeitsschritt und dazu noch auf engstem Raum zu realisieren, entwickelten die Ingenieure die Umlenkung einer Drehbewegung in eine Translationsbewegung innerhalb eines Werkzeuges.

Die eingesetzten servoelektrischen rotatorischen Antriebe bewegen sich in der Form schnell und schonend und ermöglichen drei Arbeitsschritte zu kombinieren: Statt einem PE-Oberteil, einem PE-Unterteil und einer LSR-Membrane wird jetzt nur noch ein Bauteil aus zwei Komponenten erzeugt. Das spart nicht nur Zeit und Geld, sondern vor allem auch den Einsatz zweier Spritzgießwerkzeuge und -maschinen. Auch ist die Montagelinie zum Zusammenbau der Einzelteile überflüssig geworden.

Wichtigstes Learning

  • Wenn es gelingt, mehrere Arbeitsschritte zusammen zu fassen, winken große Einsparpotenziale. Im Fall der Verdeckelung mit einer Membrane innerhalb eines Spritzgusswerkzeugs sind das mindestens 45 % Kostenersparnis in der Annahme, dass ein 2K-Werkzeug doppelt so teuer ist wie ein 1K-Werkzeug.

Referierende

ModerationSusanne Schröder, Carl Hanser Verlag, und Prof. Dr. Thomas Seul, VDWF

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